Ich arbeite in einer Sozialberatungsstelle der Caritas. Ich berate Menschen, die sich in einer existenziellen Notlage befinden. Der Großteil der Menschen, die in die Beratungsstelle kommen, bezieht ein Einkommen unter dem Existenzminimum und ist daher oft mit Behörden, wie dem Sozialamt oder dem Arbeitsmarktservice in Kontakt bzw. kurz davor. Der Weg zur Behörde stellt jedoch für viele Personen, welche auf eine Leistung von „dort“ angewiesen sind, eine große Hürde dar – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Die einen schämen sich, bei der Behörde bekannt zu geben, dass sie es alleine nicht geschafft haben, die anderen möchten nicht als Bittsteller*innen gesehen oder behandelt werden, wieder andere haben das Gefühl sich zu wenig im „Sozialdschungel“ auszukennen und somit auf den Goodwill der Behörde angewiesen zu sein.
„Sei deine eigene Chairwoman, sei dein eigener Chairman“
Durch die Verknüpfung meines sozialarbeiterischen Auftrags mit TZI versuche ich meine Klient*innen dazu zu ermutigen, für ihre eigenen Rechte einzustehen. Viele Menschen kennen ihre Rechte nicht und fühlen sich daher oft ohnmächtig gegenüber Behörden. In den Beratungen geht es daher am Anfang zumeist um die Aufklärung darüber, welche Rechte die jeweilige Person hat und vor allem welche Möglichkeiten bestehen, diese auch einzufordern. Ich zeige Menschen Wege, wie sie für sich selbst eintreten können und sich somit teilmächtig gegenüber den Behörden fühlen können. In der Beratung zeige ich den Personen beispielsweise die jeweiligen Gesetzestexte, erkläre die Inhalte und gebe sie den Personen mit, damit sie über die Beratungseinheit hinaus etwas in der Hand haben, worauf sie zurückgreifen können. Gesetze sind zwar grundsätzlich allen via Internet zugänglich, doch – um als Beispiel das Gesetz der Bedarfsorientierten Mindestsicherung herauszugreifen –, meist so kompliziert verfasst, dass es für einen*eine „Normalbürger*in“ kaum möglich ist, diese Texte zu verstehen. Daher sehe ich es als meinen Auftrag an, Menschen auch schwierige Inhalte näher zu bringen. Sind diese Personen über ihre Rechte in Kenntnis, versuche ich sie dahingehend zu empowern den Mut aufzubringen, die Hürde zu überwinden und den Weg zur Behörde alleine oder mit einer Vertrauensperson zu gehen. Dieser Schritt ist für viele meiner Klient*innen ein sehr großer, vor allem in Fällen, wo sie eine „Extraleistung“ – sprich nicht „nur“ die Bedarfsorientierte Mindestsicherung beantragen wollen oder es um Unstimmigkeiten mit der Behörde geht. Ich versuche, die Personen weitgehend auf alle möglichen Situationen bei der Behörde vorzubereiten. Wichtig dabei ist, dass die Personen klar ihre Anliegen darbringen. Falls ihre eigene Intervention nicht zum gewünschten Erfolg führt, gibt es immer noch die Möglichkeit, dass ich danach als Sozialarbeiterin interveniere. Das erkläre ich den Personen, wichtig ist jedoch, dass sie es zuvor eigenmächtig sich für selbst versuchen. Durch meinen sozialarbeiterischen Auftrag der „Hilfe zur Selbsthilfe“ verbunden mit dem Chairperson-Postulat der TZI und dem gesellschaftspolitischen Anliegen Ruth Cohns sehe ich es als meine Aufgabe an, Personen zu ermutigen für ihre eigenen Rechte einzustehen, sodass sie sich (zumindest) teilmächtig gegenüber dem (Sozial-)System fühlen. Bei „eigenem“ Erfolg sind sie zudem doppelt gestärkt und haben ein Handwerkszeug für die Zukunft. Sie erfahren, dass sie mehr Macht haben, als sie manchmal annehmen, wenn es darum geht, für sich selbst einzutreten.