Ingeborg Verweijen ist aufgrund ihrer jahrzehntelangen ehrenamtlichen Tätigkeit für den Verein Ehrenvorsitzende des Ruth Cohn Institutes Österreich. Sie hat Pädagogische Psychologie an der Pädagogischen Akademie in Wien und Pädagogik an der Kath. Theologischen Privat Universität in Linz unterrichtet, viele Generationen an TZIlerInnen in Österreich großgezogen und die TZI nach Ungarn gebracht. Irene Kernthaler-Moser hat mit ihr ein Gespräch über die Vorteile der TZI durch die Jahrzehnte, die Unterschiede zur Gruppendynamik und die Wichtigkeit eines geschützten Entwicklungsraumes für Erwachsene geführt.
In welchem beruflichen Umfeld hast du die TZI angewandt?
Ich habe beruflich TZI in zwei sehr unterschiedlichen Settings erlebt: einmal an der Pädagogischen Akademie und dann an der Kath. Theol.Universität in Linz. An der Pädak hat hauptsächlich die Institution Schwierigkeiten gemacht, wenn etwas eine Spur anders lief als gewohnt. Ich habe für die Lehrveranstaltung „ Lebendiges Lehren und Lernen im Rahmen von Schullandwochen“ 90% meiner Energie dafür gebraucht, dass ich sie überhaupt durchführen darf. Der Fachvorstand wollte einfach die Kontrolle behalten. Unübliches war unerwünscht. Wir sind dann doch mit ca 70 Leuten weggefahren auf diese Schullandwoche und haben alles ( Exkursionen, Freizeitgestaltung) geplant und durchgeführt im Hinblick darauf, wie man Ähnliches mit Kindern machen könnte. Mit den StudentInnen haben wir dann das selbst Erfahrene methodisch mit Hilfe von TZI reflektiert: in Kleingruppen, in der Großgruppe, mit Hilfe von „ Themen“ und sowohl die KollegInnen als auch die StudentInnen waren dankbar und angetan von dieser anderen Art des Lernens.
In den Vorlesungen und Seminaren habe ich immer nur Elemente von TZI eingesetzt: z.B. die Möglichkeit zu fragen, fallweise ein kurzes Gespräch mit einem Partner oder kurze Stille, um über eine Frage nachzudenken. Ich empfand den Zeitrahmen von 45 Minuten immer als sehr knapp; wenn dann viele Fragen waren, wusste ich nie genau, wieweit ich wirklich komme und ich musste einen bestimmten Stoff durcharbeiten. Das war in Linz anders, da hatte ich mehr Freiraum. In Wien habe ich als Freigegenstand Selbsterfahrungskurse zum Thema der eigenen Erziehungs- und Entwicklungsgeschichte angeboten, die immer gut angekommen sind.
Wie bist du zur TZI gekommen?
Ich habe oft das Empfinden gehabt, dass das, was mir ein Anliegen ist, nur begrenzt bei den StudentInnen ankommt. Ich habe zwar immer viel mit Beispielen gearbeitet und meine Vorlesungen waren beliebt, aber trotzdem… Und dann habe ich mich aufgemacht und geschaut, was es an methodisch anderen Zugängen gibt als die, die ich kenne.
Ich habe mich zuerst mit Gruppendynamik beschäftigt und bin über eine gruppendynamische Veranstaltung in Alpbach 1978 auf die TZI gestoßen. Es war ein TZI Selbsterfahrungskurs, geleitet von Enrico Riccabona und dem Holländer Kees van Ryn. Mir war schnell klar, dass für das Feld, in dem ich arbeite, die TZI ein ideales Arbeitsmodell ist, weil sowohl die soziale Seite als auch die Gruppendynamik als auch die inhaltliche Seite ihren Stellenwert hat. Die meiste TZI im Arbeitskontext habe ich dann in den Seminaren an der Uni in Linz umgesetzt. Da habe ich den Leuten Zeit gegeben über etwas nachzudenken , ihren eigenen Bezug zur jeweiligen Thematik zu finden, und das ist sehr positiv angekommen. Der Wechsel zwischen Austausch in Kleingruppen und Plenum ist mir aus der TZI Methodik in Fleisch und Blut übergegangen, und ganz wichtig war mir immer, dass die TZI-Haltung transportiert wird.
Dass es mir gelungen ist, TZI ein Stück weit zu leben, ist mir einmal in einer Situation bewusst geworden, wie jemand zu mir kam und sich über eine ungerecht empfundene Note beschwert hat. Es gab ein gutes Gespräch, dieser Student hat sich getraut das Gespräch zu suchen und war Chairperson genug, seine Sichtweise aktiv zu vertreten. So etwas hat mich immer gefreut. Mir ist die Wertschätzung meines Gegenübers wichtig und auch das Wissen, dass ich von jedem etwas lernen kann. Das schafft eine bestimmte Art von Atmosphäre, die ich für sehr wesentlich halte.
An der Uni in Linz hatte ich den Vorteil, dass die TZI durch Matthias Scharer schon bekannt war, und wir haben gezielt als Institut mit zwei Lehrstühlen unsere Konzepte nach TZI entwickelt. Wenn die StudentInnen in die Schulpraxis gegangen sind, wurde ihre Unterrichtsplanung, aber auch die Reflexion der gehaltenen Stunden nach dem TZI Modell gemacht.
In einer meiner Veranstaltungen ging es um die Aufarbeitung eigener Schulerfahrungen. Wir haben uns die eigene Geschichte auf diesem Gebiet angeschaut. Für die Studenten war diese Art zu arbeiten durchaus fremd, aber sie haben mit zunehmender Zeit erlebt, dass sie etwas bringt: Sie haben gelernt genau hinzuschauen und wahrzunehmen, welche Ängste und welche Hoffnungen die eigene Erfahrung auslöst.
Sich mit der Zielgruppe auseinandersetzen, spielt in allen didaktischen Konzepten eine Rolle; aber was ich für ganz wichtig halte, weil das viel zu wenig geschieht, ist, das ICH in seinen Bezügen zum Globe, zur Sache, um die es geht, und zur Gruppe anzuschauen, um so Ängsten, Blockaden aber auch Hoffnungen auf die Spur zu kommen, mehr Bewusstheit zu erlangen.
Wenn es in einer Klasse drunter und drüber geht, fällt das auf. Und wenn ich sachlich nichts kann, fällt das auf. Aber wenn ich mit mir selber nicht im Reinen bin, dann fällt es nicht jedem auf. Es ist nur für einen selber schwieriger echt zu sein. Natürlich muss ich nicht alles, was mir bewusst ist, auch sagen, aber für mich selber sollte ich zumindest klar haben, was meine Position ist und wie viel ich von dieser zeige. Das – davon bin ich überzeugt – ist sehr hilfreich beim Unterrichten und für diesen Prozess helfen TZI-Reflexionseinheiten.
Wo hast du gezögert TZI anzusprechen?
Wenn es irgendwie zum Thema gepasst hat, habe ich nie gezögert und gleichzeitig bin ich nie missionieren gegangen. Vor 40 Jahren waren die Voraussetzungen völlig andere.
Europa war nach dem Krieg psychologisch ausgehungert, und als in den 60er Jahren in den Vereinigten Staaten die humanistische Psychologie entstanden ist und ein Boom an therapeutischen Entwicklungen eingesetzt hat, war Europa wie ein Schwamm. Die Therapeuten waren interessiert, diese neuen Ideen einfach einmal kennen zu lernen, und sie haben das gemacht, in dem sie sich selber in einschlägige Seminare hineingesetzt haben. Daher waren die Kurse alle voll, auch wenn sie zwei Wochen gedauert haben. In Wien gab es nur die experimentelle Psychologie des Hubert Rohracher, und es haben in diesen Jahren überhaupt erst die ersten gruppendynamischen Verfahren angefangen. Es gab schon immer Analytiker, aber sonst nichts, da war unheimlicher Nachholbedarf.
Wieso ich nicht bei der Gruppendynamik geblieben bin? Das war mir zu wenig für mein Berufsfeld, weil nur die soziale Seite der Gruppe im Blickfeld stand und nicht auch der Umgang mit Inhalten und Themen. Ich hatte aber immer die Aufgabe Inhalte zu vermitteln. Und für mich ist die Grundhaltung der TZI relevanter, mit der kann ich mich identifizieren. Die Gruppendynamik sagt zur Grundhaltung nichts aus. In diesen frühen Zeiten haben sich die Leute in Gruppendynamik Seminaren manchmal fast geschlagen, es ist oft sehr aggressiv zugegangen. Mir hat zu wenig Reflexion in der Gruppendynamik stattgefunden .Ich habe über die Dynamik in Gruppen mehr in der TZI gelernt als in der Gruppendynamik.
Für mich war es wichtig den Unterschied zwischen den beiden Gruppenverfahren zu erleben, weil mir dadurch vieles klar geworden ist. Es war mir immer ein Anliegen heraus zuarbeiten, was das Anliegen der TZI ist: jeden seinen Bezug zu einer Thematik finden zu lassen, auch ein Stück Freiheit zu lassen, was einer lernt, weil das kann ich nicht total bestimmen, aber trotzdem darauf zu achten, dass bestimmte Inhalte transportiert werden und die Bewusstheit zu haben, dass ich selber ein Stück gestalten kann. Dieses Wissen um die eigene Chairperson ist aus meiner Sicht für die LehrerInnenaus - und -fortbildung wesentlich.
Es war dann sehr schnell bekannt, dass ich mit dem TZI Ansatz arbeite, und ich habe viele Anfragen bekommen: im Schulbereich für die unterschiedlichsten Ausbildungen ( Religionslehrer, Berufsschullehrer) vom Kuratorium für Verkehrssicherheit z.B., um die Nachschulungskurse für Verkehrssünder sinnvoll zu gestalten.
Wofür eignet sich – aus deiner Sicht - die TZI heute?
Ich denke, es braucht heute mehr denn je die produktive Arbeit in Gruppen und das wird in der Wirtschaft auch immer wieder betont: Führung durch den einzelnen ist fast nicht mehr möglich, weil unser Wissen so angewachsen ist, dass es ein Einzelner gar nicht mehr überblicken kann. Daher ist Arbeit im Team notwendig, und da ist TZI ein höchst brauchbares Modell.
Auch an Schulen, Fachhochschulen und Universitäten könnte das bewusste Nützen der individuellen Vielfalt das Lernen und Arbeiten befruchten und vor allem lustvoller gestalten!
Dass mittlerweile Aspekte der TZI in der Beratungsarbeit durchaus mehr genützt werden, das halte ich für sinnvoll. Von der Haltung her ist der TZI-Ansatz zu Rogers sehr ähnlich, aber ein großer Pluspunkt der TZI ist das genaue Schauen auf den Globe. Die Wahrnehmung des Globe ist eine ganz zentrale positive Stärke bei uns. Da sind wir am nächsten verwandt mit den Systemikern, das sind die einzigen, die in dem Sinn mitreflektieren.
Und dann gibt es noch einen wesentlichen Punkt: Jeder braucht, vor allem in Stresssituationen, ein „Heim erster Ordnung“, wo er sich sicher fühlt. Wir kennen das alle aus der Kindererziehung: Kinder brauchen stabile Bezugspersonen, damit sie einen Ort der Sicherheit haben, von dem aus sie die Welt erkunden können. Zur Weiterentwicklung brauchen auch wir Erwachsene Orte, an denen wir uns sicher fühlen, Schutzräume gewissermaßen. Die Verhaltensforschung hat gezeigt, gerade unter stressigen, sich verändernden Bedingungen sind solche Schutzräume besonders notwendig. Dass wir in einer Zeit großer Umbrüche leben, da sind wir uns sicher alle einig. Und aus meiner Sicht stellen mit TZI geleitete Gruppen solche Schutzräume für Erwachsenen dar. In TZI- Gruppen wird dann persönliche Weiterentwicklung möglich.